Annica Springmann Alltag

Warum? Meine Motivation dahinter

Zunächst einmal, weil ich einfach enorm viel Spaß an der Kunst dieser besonderen Verwandlung habe und gerne Dinge erlebe und Erfahrungen sammle, die Männern für gewöhnlich verschlossen bleiben. Es ist der Spaß an der Travestie, jedoch ohne dabei auf einer richtigen Bühne zu stehen, sondern am gewöhnlichen Leben teilzunehmen. Man kann herauslesen, dass ich weder schwul noch transsexuell bin und die gegengeschlechtliche Verwandlung für mich auch keinerlei sexuelle Motivation hat.

Es geht mir dabei nicht einfach nur darum, weibliche Kleidung zu tragen und mich dabei womöglich unheimlich weiblich zu fühlen, das wäre dann wohl eher ein Fetisch. Vielmehr geht es mir darum, die Frauen möglichst realistisch, stil- und niveauvoll zu kopieren.

Wobei ich zugeben muss, dass ich mich beim Tragen weiblicher Kleidung selbst viel attraktiver finde und das Tragen dieser wundervoll angenehmen und schönen Kleidung mir natürlich ein gutes Gefühl verleiht. Sonst würde ich dieser Leidenschaft wohl auch kaum nachgeben. Vielmehr nehme ich an, dass dieses Gefühl sich nicht von dem Gefühl einer richtigen Frau unterscheidet, wenn sie sich etwas Hübsches anzieht und sich entsprechend zurechtmacht. Da ich keine Frau bin, kann ich das jedoch nur annehmen.

Ist euch schon einmal aufgefallen, dass Frauen eigentlich alles dürfen und Männer nicht? Mir schon. So nimmt inzwischen kein Mensch mehr Anstoß daran, wenn Frauen zum Beispiel in Männerkleidung herumlaufen oder in typischen Männerberufen arbeiten. Anders herum ist das jedoch sehr wohl der Fall. Ich war schon immer eine Rebellin und das Einhalten meiner Meinung nach unsinniger, unfairer oder ungerechter Regeln war noch nie mein Ding. Im Gegenteil, das Überschreiten von Grenzen, sei es, in 3.500 Metern Höhe aus einem Flugzeug zu springen oder eben die gesellschaftlich- soziale Geschlechtergrenze zu durchbrechen, ist Teil meines Charakters. Ich verfüge über ein wenig Selbstironie, nehme mich selbst nicht allzu ernst und so kann ich auch mit und über meine innere Frau lachen.

Die Küntslerin

Den ganzen Frauenkram finde ich einfach interessanter, um ein Vielfaches abwechslungsreicher und vor allem sehr viel hübscher als den ewig gleichen, wenig spektakulären Männerkram. Wenn ich mich verwandle, die Perspektive wechsle und in diese fremdartige, aufregende und für Männer gewöhnlich meist völlig unverständliche weibliche Welt eintauche, dann öffnet sich für mich ein Tor, das völlig neue Eindrücke in meine Seele hineinlässt, aus einer Welt, in deren Nähe sich viele andere Männer nicht trauen, um ja nicht als Weichei oder Schwuchtel zu gelten. Weil ich es faszinierend finde als „Frau“ und ich gerne das erlebe, was Männern sonst verschlossen bleibt. Selbstverständlich kann ich die Welt der Frauen nicht vollständig begreifen, da ich eben keine Frau bin. Im Vergleich zu anderen Männern kann ich die Frauen jedoch inzwischen sehr viel besser verstehen.

Eigentlich lebe ich ein völlig normales, gewöhnliches und stressiges Männerleben. Das Wechseln auf die weibliche Seite, die voller Geheimnisse steckt, ist, jedoch eine Art Urlaub für meine Seele. Wer will nicht einmal ein völlig anderer Mensch sein? Es ist eine Möglichkeit, die ich für mich gefunden habe, um meinem Männeralltag zu entkommen und eine ungewöhnliche, wundervolle, erholsame und aufregende Zeit zu erleben. Vielleicht hängt es auch damit zusammen, einmal kein Mann sein zu müssen. Die Zeit, die ich in der sanften, weiblichen Welt verbringen darf, hilft mir, meinen Stress zu bewältigen, ein glücklicherer und ausgeglichener Mensch zu sein. Wenn ich traurig bin, dann hilft mir meine innere Frau, wieder zu lachen, fröhlich zu sein und meine Alltagssorgen für eine kurze Zeit zu vergessen.

Wenn ich diese mysteriöse innere Frau nicht ab und zu erleben kann, dann geht es mir mit fortschreitender Zeit nicht gut. Dann bekomme ich schlechte Laune, werde jähzornig, aggressiv, ungeduldig, traurig und depressiv. Mit anderen Worten: ein ziemlich unsympathischer Kerl. Dagegen bin ich nach jeder Verwandlung ein sehr viel ausgeglichenerer, geduldigerer, ruhigerer, angenehmerer, netterer und fröhlicherer Mensch.

Die Zeit, die ich in der Frauenrolle verbringen darf, bewirkt bei mir einen seelischen Ausgleich, der zu einer inneren Zufriedenheit führt und extrem entspannend ist. Dieses Gefühl, das wie eine Droge auf mich wirkt, bringt mich immer und immer wieder dazu, dieses weitgehend gesellschaftlich verbotene Spiel zu spielen. Aus welchem Grund das so ist, kann ich nicht sagen und es lässt sich auch nicht genauer beschreiben. Andere Betroffene wissen wahrscheinlich ganz genau, wovon ich hier schreibe.

Selbstverständlich habe ich aus Angst und Scham vor mir selbst und vor allem wegen der anderen Menschen da draußen versucht, davon loszukommen. Obwohl ich mit aller Gewalt gegen dieses süße Verlangen angekämpft habe, hat diese verführerische und überzeugende innere Frau immer und immer wieder gewonnen und mir gleichzeitig das Leben zur Hölle gemacht. Aus Angst, von anderen Menschen ausgelacht und in meiner Menschenwürde verletzt zu werden, aber auch aus Angst davor, was andere von meinem Lebensstil halten, habe auch ich, wie so viele, immer und immer wieder vergeblich und verzweifelt versucht, dieses verbotene, unmännliche Spiel zu beenden. Um in die gesellschaftliche Norm zu passen, wollte ich meine Freiheit einschränken. Man wird die Geister aber nicht mehr los, wenn sie einen erst einmal verzaubert haben!

Da war und ist zum einem ein wenig spektakuläres und gewöhnliches Männerleben, so wie es die Gesellschaft von mir erwartet. Der Preis für ein solches normales, gewöhnliches und unauffälliges Leben ist, dass ich unglücklich bin und sehr wahrscheinlich auch Depressionen bekommen werde. Und da ist diese ungewöhnliche Leidenschaft einer besonderen (positiven) Verrücktheit, mit der ich ein glückliches und ausgeglichenes Leben führen kann.

Inzwischen habe ich verstanden, dass mein „Frau sein“, besser gesagt mein Alter Ego, ein Teil meiner Persönlichkeit ist, der mich als Mensch ausmacht. Diese „innere Frau“, die mich von Zeit zu Zeit in ihren Bann zieht, ist eine unglaublich große und positive Persönlichkeitserweiterung und Bereicherung für mich. Mein Alter Ego „Annica“ ist ein Teil meiner Seele, von dem ich mich nicht trennen kann und nach vielen Jahren des vergeblichen Kampfes auch nicht mehr trennen will.

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Über Annica

Annica Springmann aus Esslingen ist der kreative Kopf hinter Female Copy. Heute lebt die gebürtige Schwäbin in der sonnigen Südpfalz und neben Ihren Aktivitäten als Transgender Model, Fotografin, Mentorin und Autorin arbeitet die studierte Wirtschaftsingenieurin als IT-Expertin im Management. Mit Ihrer Webseite, dem Blog und ihren sozialen Profilen möchte Sie anderen Mut machen, ihr Leben so zu leben wie es sie glücklich macht, ihre Erfahrungen teilen und mit dem einen oder anderen Vorurteil aufräumen.

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